"Die Bundeswehr ist anders als jedes andere Unternehmen." - ein vielgehörter Satz. Das fängt bereits bei dem Selbstverständnis eine:r Vorgesetzten an. In der Bundeswehr ist es immer so, dass man als Führungskraft führt, erzieht und ausbildet. Dies ist ein inhärenter Auftrag, den man als Führungskraft immer wahrnimmt - weil man eben Führungskraft ist. Das liegt auch nicht zuletzt an dem sehr hierarchischen Aufbau der Bundeswehr. Die Vorteile liegen dabei für das System Bundeswehr auf der Hand. Aber ist das auch übertragbar in die Wirtschaft?
In der Bundeswehr ist es relativ einfach - jede Führungskraft hat den Auftrag in den Rollen Führer:in, Erzieher:in und Ausbilder:in zu agieren. Dieses Spektrum soll stets und ständig wirken, um die Auftragserfüllung im Sinne der übergeordneten Führung sicherstellen zu können und mit den unterstellten Soldat:innen die gesetzten Aufträge zu erreichen. Dabei müssen diese drei Rollen einmal von einander abgegrenzt werden:
1. "Führer:in": Führung ist ein wesentliches Element der Streitkräfte - ohne Führung würde ein solch hierarchisch geprägtes System wie die Bundeswehr nicht funktionieren. Aber warum ist ein:e Vorgesetzte:r stets und ständig auch in der Rolle "Führer:in" (auch wenn aktuell kein Personal unterstellt ist)? Weil Vorgesetzte in der Bundeswehr immer erkennbar sind als Vorgesetzte. Wir tragen unsere Position in der Hierarchie auf unseren Schultern als Dienstgradabzeichen. Soldat:innen, die militärische Vorgesetzte sind, werden durch jeden Untergebenen auf jeder Hierarchiestufe stets gesehen und erkannt. Daraus ergibt sich alleine schon die Funktion, stets diese Rolle einzunehmen zu sein.
Die muss aber auch ausgefüllt werden - zum Beispiel durch die Anwendung von Führungsgrundsätzen oder Prinzipien (wie z.B. Empathie, eine Vision zu haben oder Aufmerksamkeit). Führung lebt dabei von Verantwortung (sowohl abgeben als auch übernehmen), Entschlusskraft und einer Ambition zu führen. Tiefer werden wir dazu in einem Beitrag zu unserem Führungssystem der 8+ Leadership Principles eingehen.
2. "Erzieher:in": Immer dort, wo Menschen interagieren oder agieren, menschelt es. Jeder Mensch kommt mit hoch individuellen Eigenschaften auf diese Welt und agiert oder reagiert. Dabei sind die Ausprägungen so divers wie individuell. Um auf der einen Seite die einzelnen Soldat:innen bei Verfehlungen wirksam an ihre Pflichten zu erinnern aber - vor allem - bei guten Leistungen zu ermutigen, diesen Weg weiter zu gehen, hat die Bundeswehr ein System aus Regeln und Gesetzen. Diese erlauben den Führungskräften mit Lob aber auch Tadel unterstellte Soldat:innen zu fordern oder zu fördern (Wehrdisziplinarordnung, Erlass Erzieherischer Maßnahmen etc.). Die Grundannahme ist, dass Soldat:innen einen Ausbildungsmangel haben können - dann wird ausgebildet - oder einen Erziehungsmangel - dann wird erzogen.
Es werden gewisse Maßnahmen definiert, die ab bestimmten Führungsebenen angewandt werden dürfen, um auf Erziehungsmängel der unterstellten Soldat:innen zu reagieren oder gute Leistungen positiv zu bedenken. Sicherlich ist die Bundeswehr die einzige Institution, die ein solches Instrument überhaupt systematisch integriert hat. Aber die Erfahrung zeigt, dass es durchaus notwendig sein kann, erzieherisch tätig zu werden. Dies liegt insbesondere in den Besonderheiten des Zusammenlebens und Dienens im Soldatenberuf begründet.
3. "Ausbilder:in": In Ergänzung zum Erzieher ist die Rolle "Ausbilder:in" unglaublich wichtig. Immer dann, wenn eine Verfehlung vorliegt muss die Führungskraft prüfen, ob es sich um einen Erziehungsmangel handelt (dann wird die Rolle "Erzieher:in" eingenommen) oder einen Ausbildungsmangel (dann wird die Rolle "Ausbilder:in" eingenommen). Ausbildungsmängel sind dabei im Rahmen der Ausbildung vor Ort und unmittelbar abzustellen. Hört sich drastisch an, ist aber durchaus sinnvoll. Das Prinzip dahinter ist, dass Ausbildungsmängel direkt beseitigt werden und so ein Fehlverhalten aufgrund eines Ausbildungsmangels sich nicht einschleift.
Das Prinzip mit diesen Rollen greift innerhalb der Streitkräfte tatsächlich gut, solange die Führungskräfte dieses Prinzip durchdrungen haben und auch anwenden. Dabei muss auch gesagt werden, dass es einiger Ausbildung und Erfahrung bedarf, in diesen Rollen zu wachsen und sie entsprechend sinnvoll und fair anzuwenden. Junge Führungskräfte haben damit Anfangs noch ihre Probleme.
Aus diesem Rollen-Dreiklang lässt sich nicht ohne weiteres alles für die Wirtschaft übertragen - dennoch gibt es Funktionen, die es wert sind, betrachtet zu werden.
Seit einigen Jahren entdeckt die breite Wirtschaft Führung in Form des Leadership für sich. Management und Leadership werden dabei unterschieden und bereits hier eine Rollenabgrenzung getroffen. In der Rolle Leadership ist dann zumeist ein Werte-Set entwickelt, nach dem das spezifische Unternehmen führen möchte. Dies unterliegt zuletzt großen Veränderungsprozessen aufgrund weit reichender Einflüsse der Corona-Pandemie, New Work und anderen Strömungen. Dabei wird ein robuster Ansatz - zu recht - immer weiter aus dem Führungsverhalten gestrichen und verbannt. Somit existiert die Rolle "Führer:in" durchaus in der Wirtschaft.
Die Rolle "Erzieher:in" ist dabei nur sehr schwach ausgeprägt. Durchaus ist es so, dass Führungskräfte alleine bereits durch die Vorbildfunktion eine erzieherische Rolle übernehmen - aber eine bewusste Anwendung von erzieherischen Mitteln ist zumeist nicht systematisch hinterlegt. Wozu auch - in den allermeisten Fällen ist die Zusammenarbeit von Menschen in zivilen Wirtschaftsunternehmen nicht von allzu viel "Leben in der Gemeinschaft" oder der Rolle "Erzieher:in" geprägt. Fraglos können jedoch erzieherische Aspekte eine Rolle spielen und eine Veränderung herbeiführen (z.B. bei Konflikten).
Die Rolle "Ausbilder:in" ist individuell auf das Unternehmen bezogen geregelt. Wo es sicher in großen Mittelständlern und Konzernen durchaus extra Ausbilder:innen gibt vereinigen in kleinen Unternehmen meist die Führungskräfte diese Rolle auf sich.
Wir können daran sehen, dass die Bundeswehr und die Wirtschaft sich gar nicht allzu sehr unterscheiden, was die Rolle der Führungskräfte angeht. Vielmehr noch - militärische Führungskräfte sind hoch ausgebildete und zumeist sehr erfahrene Führungskräfte. Die Wirtschaft kann sicher von dem fließenden Rollenverständnis militärischer Führungkräfte noch etwas lernen. Wobei militärische Führungskräfte von den Skillsets der Wirtschaft profitieren wird. Ein Austausch zwischen Streitkräften und Wirtschaft ist daher sinnvoll und zielführend.
Was aus nun passieren muss:
Die Rolle als Führer:in, Erzieher:in und Ausbilder:in muss wieder ins Zentrum der Ausbildung von Führungspersonal rücken.
Das Führen mit Auftrag und die Auftragstaktik muss wieder gelebt und durchgeführt werden.
Wissenstransfer muss auch von extern erfolgen - das Digitalforum Führen ist ein hervorragendes Beispiel dafür.
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